Hanna-Laura Noack

Lesen und Schreiben:

Es gab nichts, das ich als Kind ungeduldiger erwartete, als das meist einzige Geburtstagsgeschenk meiner Eltern, den "Auerbach-Kinder-Kalender". Er enthielt Geschichten und Gedichte, die ich bald danach auswendig konnte, war wunderbar umfangreich (noch heute bevorzuge ich "dicke" Bücher), rot und glatt, so dass man sein Cover abwischen konnte und ich liebte ihn, weil er ganz allein mir gehörte.

Was ich außer in Schulbüchern las, war kaum kindgerecht. Sollte ein bestimmtes Buch angeblich "noch nichts" für mich sein, beeilte ich mich, es den Bücherschränken meiner Eltern unbemerkt zu entwenden. Der umfangreiche Bestseller der US-amerikanischen Schriftstellerin Kathleen Winsors, "Amber" lag lange versteckt unter der Matratze meines Kinderbettes (obwohl er nur leichte Liebesszenen enthielt, war er mir bis Sechzehn verboten worden) und Pearl S. Buck's Beschreibung des chinesischen Mannes in "Die gute Erde", der seine Frau nach der Geburt "nur" eines Mädchens zur Arbeit auf den Acker zurückschickte, beeinträchtigte lange Zeit meinen Schlaf.
 
Erste eigene Aufzeichnungen entströmten meiner  Füllfeder ab etwa Vierzehn, in Dutzende streng gehüteter, später durch väterliche Willkür auf immer verschollene Tagebücher. Sie beinhalteten romantische Spekulationen nach Art einer Gänseblümchenbezupfung, die  das "er liebt mich-er liebt mich nicht" des Sohnes eines städtischen Kohlenhändlers und - Rock Hudson betrafen, der in dem Hollywoodfilm "Der Engel mit den blutigen Flügeln" als Pilot im Koreakrieg zunächst ein Kinderheim zerbombte und später reumütig wieder aufbaute. Denn dass es neben den heterosexuellen auch noch andere Präferenzen gibt, erfuhr ich erst nach der Lektüre von

Oscar Wilde's "De profundis". 


Meine Beobachtung pädagogisch fragwürdigen Lehrerverhaltens führte zu ersten "literarischen" Aufzeichnungen. Und was, als Grundlage solcher Protokolle, war geeigneter als jenes Papier, welches man nach der Benutzung in der Kloschüssel entsorgt? Mit Sechzehn schrieb ich satirisch-ironische Pamphlete, genau darauf. Die brachte ich, zu eingängigen Klängen angesagter Schlager, im Refrain stimmlich unterstützt von zwei Klassenkameradinnen, auf dem abschließenden Schulfest zum Vortrag. Die Schülerschaft spendete tosenden Beifall. Meine Lehrer, mit süßsauer verzerrter Mimik, zeigten Spuren von Humor, vor allem bei den ihre Kollegen betreffenden Strophen.
Indes - die mir im Anschluss bescheinigte Reife lag lediglich im mittleren Bereich.

Im Nachhinein mögen solche Erfolge als frühe positive Verstärkung gewertet werden.

Dennoch, verworren  und verunsichert katholisch, kompensierte ich mein schlechtes Zeugnis durch Buße und absolvierte zunächst eine dreijährige Lehre im Hotelfach.  Meine überschüssigen Energien wurden sechs Tage die Woche von früh morgens bis spät nachts autoritär, bis hin zu Krankheit und totaler Erschöpfung geknebelt. Dem Tod durch einen Blinddarmdurchbruch um Minuten entkommen - es war mir verboten worden, einen Arzt aufzusuchen, beendete ich diese "Lehre" dennoch tapfer („Lehrjahre sind keine Herrenjahre!“). Meine mich bestens benotenden Berufsschullehrer lobten meine Leistungen, und schürten in mir die Erkenntnis, dem mich wie eine Sklavin haltenden Hotelbetrieb auf ewig zu entfliehen.

Diese Entscheidung trieb mein Leben voran:
 
Numerus-clausus fähiges Abitur im zweiten Bildungsweg, Studium der frz. Literatur und Geschichte in Paris, Eheschließung, Berufstätigkeit, Studium der Psychologie und Psychotherapie in Berlin (TU), Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft Bonn, Zusatzausbildung für Psychotherapie, Weiterbildung in verschiedenen Therapierichtungen, Praxiseröffnung als Psychologische Psychotherapeutin/Kassenzulassung in Köln, Kindererziehung, Ehescheidung, neue Eheschließung.

Dazwischen erste literarische Veröffentlichungen und Lesungen in Literaturzeitschriften (Die Horen), Deutschlandfunk und auf Kulturfestivals. Leitung eines psychologischen Berufsverbandsfachteams.
Entwicklung eines Trainingsprogramms Interviewtechnik, Journalistentrainerin bei WDR, NDR und Kabelfunk Dortmund, mehrjähriges Engagement als psychologische Expertin in Funk und Fernsehsendungen.